Die Schaurestaurierung von Anselm Kiefers Gemälde „Maikäfer flieg!“ (1974) innerhalb der Ausstellung „Zeit für Fragmente“ im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin ist Teil 2 der Reihe IN PREPARATION. IN PREPARATION blickt hinter die Kulissen der Museumsarbeit – und konkret in die Vorbereitungen für den Neubau der Nationalgalerie am Kulturforum.

Die Reihe IN PREPARATION wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

„Maikäfer flieg!“ ist eines von acht Werken Anselm Kiefers (geb. 1945) aus der Sammlung Marx, die seit 1996 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin in wechselnden Ausstellungen präsentiert wird. Für die Sammlung Marx mit ihrem Schwerpunkt auf Werken von Joseph Beuys, Robert Rauschenberg, Cy Twombly, Andy Warhol und Anselm Kiefer ist im Nationalgalerie-Neubau ein eigener Ausstellungsbereich geplant.

Einblick in das Restaurierungslab

Fast 50 Jahre nach seiner Entstehung wird das Gemälde „Maikäfer flieg!“ für die Präsentation im Neubau restauriert. Kiefer bedient sich in seinen Kunstwerken oftmals ursprünglicher Werkstoffe wie Blei, Sand und Stroh. Bei „Maikäfer flieg!“ ließ er auf grobem Rupfengewebe mittels dicker Ölfarbschichten reliefartige Farblandschaften entstehen.

Die Schaurestaurierung gewährt Besucher*innen einen Einblick in das Tätigkeitsfeld von Restaurator*innen – von der kunsttechnologischen Untersuchung der Materialtechnik bis hin zur konkreten Ausführung von Konservierungsmaßnahmen am Werk. Arbeitstechniken wie die

Materialuntersuchung mittels UV, VIS und mikroskopischer Vergrößerung finden dabei ebenso Anwendung wie die Oberflächenreinigung und Konsolidierung (Festigung) der Malschicht.

Der Arbeitsprozess wird fortlaufend an der Info-Station im Restaurierungslab dokumentiert. Der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass Restaurierung im Museum nachhaltig und zukunftsweisend ist, gehören doch Pflege und Bewahrung der Werke zu den Grundpfeilern der musealen Sammlungsarbeit.

Anselm Kiefers „Maikäfer flieg!“ – ein Werk über Flucht und Vertreibung

Das Gemälde „Maikäfer flieg!“ von Anselm Kiefer gehört zu jenen Werken der Sammlung Marx, in denen die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte vielschichtige Formen annimmt.

Rauchende Ackerlandschaft: „Pommerland ist abgebrannt“

Im Vorder- und Mittelgrund des Bildes erstreckt sich eine versengte, in einigen Bereichen noch brennende, rauchende Ackerlandschaft. Düstere Menschheitsereignisse, Naturkatastrophen und Kriegszerstörungen werden hier heraufbeschworen. Im Kontrast dazu ist am Horizont eine Hügellinie zu sehen, die an friedvollere Zeiten denken lässt.

Im Entstehungsjahr des Gemäldes, 1974, behandelte Kiefer in einer Reihe von Arbeiten das Thema der verbrannten Erde, das im Zuge der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs Adolf Hitlers „Nero-Befehl“ in den Blick nimmt. Diese nie ausgeführte Anordnung hätte 1945 die komplette Zerstörung der deutschen Infrastruktur bedeutet.

Bildgewordenes Kriegstrauma

Bei „Maikäfer flieg!“ verbindet Kiefer die Landschaftsdarstellung mit dem gleichnamigen Kinderlied, dessen Text in der linken oberen Ecke des 

Gemäldes zu lesen ist: „Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt…“. Das bekannte Volkslied ist seit etwa 1800 in zahlreichen Varianten nachweisbar und stellt das Kriegstrauma eines Kindes in den Mittelpunkt. Angesichts von Flucht und Vertreibung vor allem auch aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gewann das Lied nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland an neuer Popularität.

Material als Bedeutungsträger

Durch die vielschichtigen Bezüge seines Werkes macht Kiefer jedoch deutlich, dass die Verantwortung für die Greueltaten des Nationalsozialismus und alle damit zusammenhängenden Folgen auf viele verteilt war und diese sich gerade nicht auf ihr eigenes Leid zurückziehen konnten. Sein Gemälde zeugt, nicht zuletzt auch in materieller Hinsicht, von einem Umschwung in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, makellose Oberflächen brüchig und verdrängte Wahrheiten sichtbar werden zu lassen. Das in der Schaurestaurierung untersuchte Material wird so in besonderer Weise zum inhaltlichen Bedeutungsträger.

Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen konnten nur für kurze Zeit Einblicke und Gespräche vor Ort stattfinden, es wurde jedoch eine filmische Dokumentation der Schaurestaurierung erstellt.

Anselm Kiefer: Alchemie gegen die Verdrängung

1945 während eines Luftangriffs im Luftschutzkeller eines Krankenhauses in Donaueschingen geboren und zwischen Trümmern aufgewachsen, prägten Anselm Kiefer bereits früh Eindrücke von Ruinen und Vergänglichkeit. Nach einem kurzen Studium der Rechtswissenschaft und der Romanistik studierte er von 1966 bis 1969 Malerei in Freiburg i. Br. bei Peter Dreher und in Karlsruhe bei Horst Antes.

Unter dem Titel „Besetzungen“ ließ er sich 1969 in Hitlergruß-Pose vor touristischen Postkartenmotiven in europäischen Ländern fotografieren. Durch die Darstellung verbotener Gesten und Symbole lenkte Kiefer auch in seinen späteren Gemälden und Skulpturen den Blick auf die Mechanismen der Verdrängung, mit denen in der bundesdeutschen Nachkriegszeit dem Nationalsozialismus begegnet wurde. In diesem Sinne bemerkte er noch 1986 in einem Gespräch mit Joseph Beuys, mit dem er seit 1970 in künstlerischem Austausch gestanden hatte,

Jannis Kounellis und Enzo Cucchi: „Die Suche nach der eigenen Identität war vertagt. Nach dem ‚Unglücksfall‘, wie man das jetzt euphemistisch nennt, dachte man 1945, jetzt fangen wir ganz neu an. Man redet bis heute noch vom Nullpunkt, dabei kann es den ja gar nicht geben, das ist Unfug.“ Fünf Jahre nach diesem Gespräch zog Kiefer mit seinem Atelier vom Odenwald nach Frankreich, zunächst in die Cevennen und später nach Croissy-Beaubourg bei Paris.

In seinen Werken bringt er den Fortgang der Geschichte auch materiell zur Anschauung, indem er neben Ölfarben organische Stoffe und Blei einsetzt. Bei aller Schwere ist Blei leicht formbar. Es spielt daher in der Alchemie, jener Lehre von der Wandlung unedler Stoffe in Gold, eine besondere Rolle. Für Kiefer ist die Alchemie von zentraler Bedeutung – geht es bei ihr doch darum, dass selbst scheinbar Wertloses und Ruinöses ein schöpferisches Potential und damit die Kraft des Lebens bereithält.